Semikolon – Eine kleine Geschichte über Suizid

Das Semikolon steht in der Grammatik für eine Fortsetzung. Als Autor:in hat man an diesem Punkt die Möglichkeit den Satz zu beenden, entscheidet sich allerdings dafür es nicht zu tun.

!Triggerwarnung Suizid/Selbstmordgedanken!

Verfolgt man mich eine Weile, ist es schnell kein Geheimnis mehr, dass ich unter psychischen Problemen und Depressionen leide, die immer wieder, besonders in der dunklen Jahreszeit, ihren Weg zurück zu mir finden. Und natürlich höre ich von Zeit zu Zeit ein kleines und leises „Ich möchte nicht mehr“ aus meinem Mund kommen. Doch ich behaupte, dass jeder einzelne Mensch, egal ob depressiv oder nicht, in Zeiten der Verzweiflung, schon einmal, wahrscheinlich ganz heimlich und vielleicht auch nur für eine klitzekleine Millisekunde auf den Gedanken kam, sich das Leben zu nehmen. Und die allermeisten verwerfen diesen Gedanken sofort wieder und lassen ihn niemals auch nur an die Grenze einer potentiellen Verwirklichung kratzen. Und das ist selbstverständlich gut so.

Nun ist Selbstmord oder Suizid, ein verdammt sensibles und heikles und schwieriges Thema. Man spricht nicht darüber. Man will nichts darüber hören. Es ist gegen unsere Natur, gegen unsere Urinstinkte. Wir sind normalerweise darauf ausgerichtet, alles dafür zu tun, am Leben zu bleiben. Sprechen Menschen darüber, ihr Leben zu beenden, stellen sich uns die Nackenhaare auf. In Zeitungen und Medien werden Selbstmorde, im Kontrast zu Vergewaltigungen, Mordfällen und Totschlägen, nicht aufgeführt. Bei der Deutschen Bahn heißt der Schienensuizid „Unfall mit Personenschaden“. In manchen Religionen gilt Suizid sogar als Sünde. Wie kann man es wagen, das einzigartige Geschenk Gottes, das Leben als Teil seiner Schöpfung, zu verschmähen? Auch für viele Ungläubige gilt die Selbsttötung als ‚Easy Way Out‘ und Menschen, die Suizid begehen als ‚Feiglinge‘ oder gar ‚Egoisten‘.

Suizid wird totgeschwiegen, tabuisiert und geächtet.

Und dann passiert es. Ein Mensch begeht Selbstmord. Trotz all dem. Und dann kommt die altbekannte, obligatorische Frage: „Warum hat er/sie denn nichts gesagt?

In meiner frühen Jugend, als meine psychische Verfassung äußerst labil war, schaute ich gerne um meine Stimmung aufzubessern und mich auf andere Gedanken zu bringen, die amerikanische Late Late Show mit dem Schotten Craig Ferguson als Host. Dieser Mann brachte mich zu dieser Zeit wie kein anderer Mensch zum Lachen und machte, dass es mir für eine kurze Weile wieder gut ging.

In einer dieser Sendungen sprach Craig Ferguson im Eröffnungsmonolog (hier zum Video) über ein Thema, über das ich selten jemanden so humorvoll und offen habe sprechen gehört – Selbstmord.

Es gab eine Zeit, in der Ferguson stark unter Alkohol- und Drogensucht sowie Depressionen mit suizidalen Gedanken litt. An einem Weihnachtsmorgen in dieser Zeit, fasste er den endgültigen Entschluss sein Leben zu beenden und sich von einer Brücke zu stürzen, einfach nur „um es allen zu zeigen“ ohne so wirklich zu wissen, wer „alle“ sein sollten. Er ging entschlossen die Treppe, aus seinem gemieteten Raum über einem ranzigen Pub in London, hinunter und wollte sich gerade auf den Weg zur Towerbridge machen, als Barkeeper Tommy ihn auf ein Glas Sherry einlud. Ferguson mochte die Idee von einem ‚letzten‘ Glas Sherry und vergaß nach eben diesem und weiteren Gläsern Sherry, dass er sich an dem Tag eigentlich vorgenommen hatte sein Leben zu beenden. Obwohl die Zeit danach weiterhin hart blieb und er noch eine ganze Weile nicht schaffte trocken zu werden, blieb er auf ewig dankbar für dieses eine Glas Sherry, das ihm das Leben rettete.

Es gibt allerdings Menschen, die keinen Barkeeper Tommy haben und so geschah in diesem Jahr in unserer Familie etwas, auf das niemand vorbereitet war. Ein enges Familienmitglied beging Suizid. Und der Einschlag, den diese Person hinterlassen hat, war enorm.

Hinterlassen wurde eine große Familie, verwirrt, verletzt, wütend, erschüttert und am Boden zerstört. Man fing an einzelne Situationen zu rekapitulieren, sich Vorwürfe zu machen und sich die Frage nach dem ‚Warum?‘ zu stellen. Das Leben dieser Familie wurde von einer Sekunde auf die andere für immer verändert.

Und eins sei euch gesagt: Die Wohnungstür aufzumachen und zwei Polizist:innen mit betrübten Gesichtern und Seelsorger im Gepäck auf der Willkommensmatte stehen zu sehen, ist eins der schlimmsten Gefühle überhaupt.

Doch Menschen, die ernsthaft über Selbstmord nachdenken, befinden sich nicht in der Lage diese Konsequenzen zu sehen. Sie sehen nicht, was für einen riesen Krater sie in der Welt hinterlassen. Sie glauben mit vollkommener Überzeugung, dass sie an einem Punkt in ihrem Leben angekommen sind, an dem nichts wieder besser werden kann und an dem sie niemand vermissen würde, wenn sie sich entscheiden würden zu gehen. Sie glauben zu wissen, dass die Welt ohne sie eine Bessere wäre. Und das ist falsch. Es ist einfach nicht wahr. Nie.

Das Leben kann immer wieder besser werden. Und besonders, wenn man das Gefühl hat, am absoluten Tiefpunkt angekommen zu sein.

Nun kommen wir wieder auf das Semikolon vom Anfang zurück, da sich Einige bestimmt fragen, was das überhaupt sollte. Ich habe die Bedeutung des Semikolons sehr ins Herz geschlossen.

Denn jeder Einzelne von uns, hat zu jeder Zeit, die Möglichkeit sein Leben zu beenden und aus dieser Welt zu treten. Das ist Fakt. Es ist so wirklich das Einzige, das wir in unserem Leben wahrhaftig kontrollieren können. Und genau dieses Wissen, gibt mir die Kraft doch immer wieder weiter zu machen. Wenn das Leben wirklich schlecht zu dir ist und du glaubst, dass Selbstmord die einzig verbleibende Lösung ist, kannst du trotzdem immer noch bis morgen warten, denn die Möglichkeit zu gehen, läuft nicht weg. Du kannst jederzeit den Notausgang nehmen, doch was wäre, wenn morgen wieder alles ganz anders aussieht? Und dann wartest du auf morgen und wenn es nicht gut ist, wartest du wieder auf morgen und wieder auf morgen. Warum denn auch nicht? Morgen kannst du es ja auch immer noch tun. Und irgendwann kommt ein Morgen, und ich verspreche es dir, an dem du vergisst, dass dieser ‚Notausgang‘ existiert.

Ihr könnt es so sehen: Mit dem grünen Licht des Notausgangsschild im Rücken, bekommt man den Mut, doch immer wieder ein Stück weiter den Gang des Lebens entlangzugehen.

Doch warum schreibe ich diesen Beitrag und teile meine Erlebnisse und Gedanken mit euch?

Es ist nun Ende November und die Weihnachtszeit, welche für Liebe und Zusammenhalt steht, kann dazu führen, dass Menschen mit Depressionen sich noch einsamer fühlen als sonst. Es ist eine Risikozeit für Selbstmordgedanken. Und diese Weihnachtszeit ist eine Besondere, denn in diesem Jahr wird sie mit Kontaktbeschränkungen gepaart.

Deshalb bitte ich euch, gerade jetzt: Seid nett, seid wachsam, sprecht und hört zu und habt keine Angst euch oder anderen Hilfe zu suchen. Passt auf euch selbst und auf andere auf. Und hört endlich auf dieses unheimlich tödliche Thema, totzuschweigen.

Spielst du selbst oder eine dir nahestehende Person mit dem Gedanken dir das Leben zu nehmen? Dann melde dich bitte unter dieser kostenlosen Nummer bei der Telefonseelsorge oder online auf ihrer Website. Nach einer ersten Krisenintervention erfolgt auf Wunsch eine qualifizierte Weitervermittlung zu geeigneten Beratungsstellen:

0800 1110111 www.telefonseelsorge.de

13 Kommentare zu „Semikolon – Eine kleine Geschichte über Suizid

  1. Danke, dass Du mal wieder dran erinnerst. Man sollte das Thema und die Tatsache, dass es so tabuisiert wird immer wieder hervorkramen.
    Ich war bisweilen schon weiter als diese eine Millisekunde, man nennt das dann wohl Ambivalenzphase. Akut suizidal war ich allerdings noch nicht, andere, die ich aber schon.
    Etwas, was mir sehr am Herzen liegt, möchte ich dalassen.
    Sowohl mein Psychiater als auch meine Therapeutin und etliche andere haben mir bestätigt:
    Noch nie hat die Frage nach Suizid oder Suizidalität einen Suizid ausgelöst, der sonst nicht passiert wäre, aber sie hat schon manch einen verhindert.
    Es ist absolut in Ordnung und sinnvoll eine Person, die z.B. depressiv ist, und von der man das Gefühl hat, sie könnte gefährdet sein, nach Selbstmordgedanken zu fragen. Im besten Fall empfindet die betreffende Person das als Erleichterung, dass sie sich öffnen kann. Wenn es wirklich akut ist, kann man gemeinsam überlegen, was hilfreich sein könnte.
    Im schlechtesten Fall ist der Entschluss soweit fortgeschritten, dass sich Person nicht mehr öffnen kann und die Frage verneint. Dann kann die Frage den Fortgang aber weder beschleunigen noch verhindern.
    Also Mut haben und fragen, man kann damit eigentlich nichts falsch machen aber vielleicht helfen.

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  2. Liebe Cassie, folge Dir jetzt schon eine Weile auf Instagram und Twitter! Zum Glück, habe ich bisher in meinem Leben bisher nur mal depressive Phasen, wie wahrscheinlich jeder Mal gehabt! Natürlich kein Vergleich zu einer Depression! Ich weiß auch, dass es nicht viel bringt dem Phrasen wie, es wird schon wieder entgegen zu setzen! Ich Danke deshalb für Deine Offenheit, welche viel Mut erfordert und den Verweis auf die Hilfenummer! Dir persönlich wünsche ich weiterhin viel Kraft, Mut und Erfolg! Lese gerne Deine inspirierenden Posts und Beiträge! Liebe Grüße Jürgen

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  3. Danke! Vielen Dank für diesen Text. Genauso fühle ich mich und Suizid ist auch mein Notausgang, wenn es nicht mehr gehen sollte oder schlimmer wird. Ich schiebe es immer wieder auf, aber aktuell brauche ich diesen Notausgang und dank dir kann ich jetzt anderen mit Worten meine Gefühle beschreiben.
    Der Verlust in deiner Familie tut mir leid.
    Ich hoffe für dich, dass es dir diesen Winter besser geht.

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  4. Bin auch B-Cluster und musste nach dem Lesen weinen, weil ich so oft an diesem schmerzhaften Punkt bin und war, den du beschreibst. Den Hinweis meiner Therapeutin, dass ein Gang in die Notaufnahme auch eine Möglichkeit ist, empfinde ich als ein wenig hilfreich. Auch wenn, oder gerade weil ich gerade wieder nicht sicher bin, wie das Ganze je besser werden soll: Vielen Dank für deinen Text mit der schönen Ferguson-Anekdote! alles Liebe

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    1. Hallo Anne-Marie,
      ich möchte Dir unbedingt antworten. Als fast erfolgreicher Suizidist, der sich jetzt nach Intensivstation und geschlossener Abteilung in der offenen Psychiatrie befindet, ist es mir wichtig Dir zu sagen, dass die Notaufnahme sehr wohl hilfreich ist.
      Sie zeigt dir die Türen links und rechts vom Notausgang.
      Aus eigener Erfahrung kann ich jetzt sagen: Wäre ich vorher in die Notaufnahme gegangen, hätte ich mir und Anderen Schmerz, Leid und Scham ersparen können.
      Es ist ein einziger Satz, der unendlich viele neue und gute Wege eröffnet, die wir Depressiven nicht mehr sehen: „Ich brauche Hilfe!“

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  5. Als von vielen Suiziden im nächsten Umfeld Geprägte bin ich froh, dass du das Thema ansprichst.

    Zwei kleine Sachen als Ergänzung:
    Eins ist eine „Korrektur“: Nein, nicht alle haben die als „Fakt“ erwähnte Möglichkeit, ihr Leben zu beenden. Denken wir an Rollstuhlfahrer:innen und anderswie Handicapierte. (Ich habe da den Film Mar adentro im Hinterkopf.)
    Das zweite eine Bitte: Bitte das Wort Selbstmord meiden, es suggeriert Vorsatz à la Krimi. Nennen wir es doch Suizid oder Selbsttötung. Oder Freitod. Das Thema ist schon stigmatisiert genug. Danke.

    Herzlichen Dank für diesen wichtigen Text!

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  6. Sehr guter und immens wichtiger Beitrag. Ein Freund von mir hat sich vor vielen Jahren selbst getöter, war lange Zeit vorher schon depressiv. Damals wurde das in dem dörflichen Umfeld, in dem wir aufwuchsen, als Versagen – auch und vor allem seiner Eltern – bewertet. Ich fürchte, viel hat sich seither nicht verändert…

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  7. Salü Cassie
    Im Grund bin ich bei Dir sozusagen an der „falschen Adresse“, denn ich habe weder eine Borderline-Störung noch Suizid-Gedanken, und stehe also einigermassen auf sicherem Grund im Leben.
    Aber wie wohl viele andere auch verfolge ich Deinen Blog und bin auf Twitter ein Follower von Dir. Ich staune immer wieder, wie es Dir möglich ist, so offen aus Deinem Leben zu berichten, denn dies macht Dich schlussendlich sehr verletzlich und angreifbar. Und einige Menschen werden diese Verletzlichkeit sicher auch immer wieder ausnützen wollen. Dass Du es dennoch immer noch tust, zeigt aber auch, dass Du trotz all Deiner Zweifel und Ängste eine Stärke in Dir hast, die vielen anderen Menschen fehlt.
    Mit nicht ganz 19 Jahren bin ich durch einen Trainingsunfall im Motocross als Querschnittgelähmter im Rollstuhl gelandet. Es wäre für viele vielleicht „normal“ gewesen, wenn ich damals an Selbstmord (für mich macht es keinen Sinn, dieses Wort zu tabuisieren) gedacht hätte. Habe ich aber nie, obwohl Motocross damals für mich alles bedeutete und ich dieses Alles nun verloren hatte.
    Es war dann ungefähr drei Jahre später, als ich mich unsterblich verliebte. Erst da wusste ich, dass es wohl neben Motorräder noch anderes im Leben gab, was auch „interessant“ war. Das dauerte so etwa zwei Monate, ich lebte in dieser Zeit wie im Drogenrausch, war ständig High von ihr. Das endete dann abrupt mit dem tödlichen Verkehrsunfall meiner Liebe und erst dieses Ereignis warf mich dann so richtig aus der Schiene.
    Bis dahin hatte ich im Grunde kein Verständnis für Menschen, die jemals Suizidgedanken hatten, aufbringen können. Aber jetzt wusste ich plötzlich was es heisst, wenn der Tod verlockender als das Leben schien.
    Mein Glück damals war, dass mich schlussendlich eine Schulfreundin (sie war wirklich nur eine gute Schulfreundin, nicht mehr, aber auch nicht weniger) aus dem Tief heraus holen konnte und ich irgendwann wieder Freude am Leben fand.
    Tatsächlich aber habe ich den Verlust bis heute nie richtig überwunden, habe deshalb bis heute niemanden mehr so nah an mich heran gelassen, wie damals dieses Mädchen.
    Das ist dumm, ich weiss selbst. Aber es ist eben auch ein Schutz.
    Seit dieser Zeit geh ich aber auch mit offeneren Augen durchs Leben und enddeckte immer wieder Menschen, die in der gleichen oder ähnlichen Lage wie Du gefangen (kann man das so sagen?) sind.
    Jetzt weiss ich gar keinen richtig klugen Schlusssatz, den ich Dir schreiben könnte. Jede Person muss wohl schlussendlich seinen eigenen Weg im Leben finden, wie er mit Wut, Verlust und Trauer umgehen kann. Aussenstehende können nur Impulse dazu liefern. Nun, ich selbst habe gelernt, dass es meistens die kleinen, manchmal auf den ersten Blick gar nebensächlich erscheinende Dinge sind, die das Leben erst lebenswert machen. Ich muss diese Dinge, Menschen, Ereignisse, Begebenheiten nur auch erkennen und sehen wollen…
    Ich wünsche Dir viel Erfolg auf Deinem weiteren Weg und ich werde versuchen, Dich dabei noch einige Zeit zu beobachten.

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